Bundesministers der Verteidigung Boris Pistorius

Boris Pistorius

Bundesminister der Verteidigung

Laudatio des Bundesministers der Verteidigung, Boris Pistorius
zur Verleihung des 
Franz-Werfel-Menschenrechtspreises 2025 
am 1. Juni 2025 in der Paulskirche
Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort! 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Rhein,
Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments,
Herr Staatsminister Prof. Dr. Poseck, 
Herr Staatsminister a.D. Beuth, lieber Peter,
Herr Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main Josef, lieber Mike, 
Meine Damen und Herren Staatssekretäre,
Abgeordnete des Hessischen Landtages,
Herr Regierungspräsident Prof. Dr. Hilligardt, lieber Jan,
Vertreter des diplomatischen Korps,
die anwesenden Repräsentantinnen bzw. Repräsentanten aus Politik, Justiz, Wirtschaft, Verbände und der Stiftungen, 
sehr geehrte Damen und Herren,
aber vor allem: sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Klitschko, lieber Vitali,

schön, dass wir uns wiedersehen. 
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie groß meine Freude tatsächlich ist, heute mit Ihnen die Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises begehen zu können.  
Und ich sage es auch ganz offen als leidenschaftlicher Demokrat: Wo wäre dies passender, als an diesem Ort – in der historischen Paulskirche?
Sie ist das bedeutende Symbol der deutschen Geschichte - der deutschen Demokratiegeschichte. Sie ist die Wiege der deutschen Demokratie. Sie steht für nationale Einheit und bürgerliche Freiheit. Und sie erinnert uns daran, dass der Weg zu liberaler Demokratie ebenso wenig ein leichter ist, wie der Erhalt der liberalen Demokratie.
Diejenigen, die diesen Weg gehen, und ich zähle Sie alle natürlich dazu, müssen immer wieder Rückschläge in Kauf nehmen. Müssen immer wieder aufstehen, sich sammeln und weiterkämpfen. 
Unsere Demokratie, meine Damen und Herren, steht gehörig unter Druck. Von innen, von den Feinden unserer Demokratie, den Wölfen im Schafpelz in den deutschen Parlamenten. Die Demokratie steht unter Druck, aber nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. 
Die Wiedergeburt, das Wiedererstarken von Nationalismus, Protektionismus, Egoismus und von antidemokratischen Überzeugungen, die Wiedergeburt des Autoritären gefährdet gerade die demokratischen Länder dieser Welt.

Und wer sich die aktuelle Karte anschaut und sieht, wie die Zahl der wirklichen liberalen Demokratien in den letzten Jahren zurückgegangen ist, der muss sich Sorgen machen, meine Damen und Herren. 
Dieser Druck ist innenpolitisch da. Er ist aber auch außenpolitisch da durch autoritäre Machthaber und Diktatoren wie Wladimir Putin. 
Der Angriff auf die Ukraine ist eben nicht bloß ein Angriff auf die Ukraine. Er ist eine Bedrohung der internationalen regelbasierten Ordnung und ich sage das - was ich von Beginn meiner Amtszeit an immer und immer wieder gesagt habe: Wenn wir Putin damit durchkommen lassen, wird es von allen Autokraten dieser Welt als Einladung verstanden werden, es ihm gleich zu tun, meine Damen und Herren.
Die internationale regelbasierte Ordnung ist eben nicht nur irgendein gedankliches Konstrukt. Sie ist nicht immer zu 100 Prozent, vielleicht nicht einmal zu 80 Prozent, aber doch in großen Teilen seit ihrem Bestehen Garant für Freiheit und Sicherheit in der Welt gewesen. Vor allem ist und war sie Garant für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Nationen. 
Jedes Land, jedes Volk der Welt hat das Recht, alleine über sein Schicksal zu entscheiden. Wenn es entscheidet Mitglied der Europäischen Union oder Mitglied der NATO zu werden, dann ist das eine souveräne Entscheidung dieses Landes. 
Jeder, der diese Souveränität in Frage stellt, stellt die internationale regelbasierte Ordnung in Frage. 
Deswegen will ich es noch einmal ganz deutlich sagen: Mir geht dieses Gerede über angebliche Provokationen Russlands vor dem Überfall auf die Ukraine gehörig auf die Nerven. Diese Legenden, die gestrickt werden darüber, wer wann was wem versprochen hat und was die Ukraine angeblich alles nicht darf. 
Die Wahrheit liegt eigentlich woanders: 1994, also nach dem Fall der Mauer und nach dem Ende des Warschauer Paktes, hat die Ukraine alle ihre Atomwaffen abgegeben. Als Gegenleistung hat sie einen Vertrag bekommen, unterzeichnet von Russland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika mit klaren Garantien für ihre Souveränität. Mit klaren Garantien für ihre Sicherheit und Garantien nicht mit Sanktionen überzogen zu werden. 
Wir alle sehen nicht erst seit 2014, sondern eben erst recht jetzt nach 2022, was dieses Papier wert war, insbesondere mit der Unterschrift von Wladimir Putin oder einem seiner Vorgänger. 
Das darf nie wieder passieren.
Wenn wir über die äußere Bedrohung von Demokratien reden, dann heißt das eben auch, wir reden über die Bedrohung unserer Sicherheit, in der wir in Freiheit und Demokratie leben.

Wenn es wieder einen Machthaber auf dem europäischen Kontinent gibt, der sich entschieden hat, nicht mehr in Frieden und friedlicher Koexistenz mit den anderen Völkern und Nationen in Europa zu leben; der sich entscheidet seine Rüstungsausgaben zu vervielfachen; 
der sich entscheidet beim Waldai Dialog im November letzten Jahres zu sagen – wörtliches Zitat: "Wir stehen vor einem unerbittlichen Kampf um eine neue Weltordnung“ – meine Damen und Herren, dann ist das nicht nur eine rhetorische Floskel, sondern eine Kampfansage an die internationale regelbasierte Ordnung und an die freiheitlichen Demokratien dieser Welt.
Jetzt kann man sagen, wenn ich einen bösen Nachbarn habe, vielleicht lässt er sich ja besänftigen, indem ich ihn zum Grillen einlade. Und wenn ich Glück habe, dann lässt er meinen Gartenzaun beim Rausgehen stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das aber bei einem sehr bösen Nachbarn passiert, ist ziemlich gering. Also habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich sage, ich mache mein Gartentor gleich auf, damit keiner den Zaun einreißt oder aber ich sage, ich verstärke ihn. Ich schütze mich vor diesem Nachbarn, der mich bedroht. Der erklärt, dass er die freiheitlichen Demokratien in dieser Welt ablehnt und als Bedrohung seiner eigenen Macht betrachtet.

 

Ich muss mich doch schützen und zwar nicht um selbst zu einer Bedrohung für die andere Seite zu werden, sondern im Gegenteil, um zu sagen: Wir sind so stark, dass jeder Angriff auf uns, auf die NATO, auf das Bündnisgebiet mit einem so hohen Risiko verbunden ist, dass es entweder nicht kalkulierbar oder tatsächlich zu hoch ist.

Meine Damen und Herren,
ich bin geboren und groß geworden in der schönsten Stadt Deutschlands, in Osnabrück. Osnabrück ist bekanntermaßen die Friedensstadt, die Stadt des Westfälischen Friedens. Wer sich mit der Geschichte dieses Friedens beschäftigt, der weiß, dass fast 20 Jahre verhandelt worden ist und am Ende war Frieden erst dann möglich, als alle Seiten verstanden hatten, dass der Preis für eine Fortführung des Krieges höher ist als dessen Beendigung.
Als Osnabrücker kennt man das und saugt diesen Gedanken gewissermaßen mit der Muttermilch auf: Frieden muss immer möglich sein. Deswegen ist es so wichtig, niemals die diplomatischen Bemühungen abreißen zu lassen.
Boris Rhein hat mir die persönliche Freude gemacht, eines meiner großen politischen Vorbilder zu zitieren: Willy Brandt.

 

Das wird Sie jetzt nicht überraschen, aber entscheidend ist doch, dass Willy Brandt und Helmut Schmidt als Sozialdemokraten in den 70er und 80er Jahren verstanden haben, dass friedliche Koexistenz, Entspannungspolitik und Annäherung nur aus einer Position der Stärke heraus möglich sind.
Deswegen geht es nicht darum, dieses Land zu militarisieren, aufzurüsten, sondern es geht darum, uns wieder wehrhaft zu machen. Im besten Sinne des Wortes. Damit Abschreckung funktioniert und wir und unsere Kinder und Enkelkinder auch in 10 und in 20 Jahren in diesem wunderbaren Land noch in Frieden leben können.
Wenn wir hier an diesem wunderbaren Ort stehen, meine Damen und Herren, werden wir einerseits, wie ich vorhin gesagt habe, daran erinnert, dass der Weg zu liberaler Demokratie kein leichter ist. Andererseits gibt dieser Ort uns aber auch die Hoffnung, dass am Ende die Demokratie stärker ist und siegen wird.
Wir ehren heute einen Mann, der diese Hoffnung und den notwendigen Siegeswillen verkörpert. Und ich sage das natürlich nicht in erster Linie mit Blick auf seine Karriere als Athlet. Denn Vitali Klitschko hat sich mit deutlich mehr als außergewöhnlichen Erfolgen im Sport einen Namen gemacht.

Er ist ein Mann, der sich entschieden hat, Verantwortung zu übernehmen, da wo andere lieber in Talkshows sitzen oder jenseits des Gartenzauns die Weltlage kommentieren. Er hat sich entschieden, Verantwortung zu übernehmen – für seine Heimat, für seine Brüder und Schwestern, für seine Mitmenschen, für Freiheit und für Menschenrechte.
Er ist zum Vorbild für die Vielen geworden, die in der Ukraine jeden Tag auf beindruckende Art Widerstand leisten. 
Er steht für all die Menschen, die trotz des anhaltenden Krieges den Glauben an eine freie und demokratische Ukraine nicht verlieren. 
Lieber Vitali, ich bewundere das wirklich sehr.

Meine Damen und Herren,
der Lebenslauf von Vitali Klitschko macht das sehr deutlich. Es war sehr früh klar: Vitali hat Kampfgeist. 
Er gibt nicht auf – ganz gleich welche Hürden ihm in den Weg gestellt werden. Schon zu Anfang seiner Karriere hat sich ein talentierter Leistungssportler abgezeichnet, der im Boxring zu Hause ist. Der sich seinen Widersachern stellt: gewissenhaft vorbereitet, wild entschlossen, und sehr diszipliniert und fokussiert.
Ein promovierter Sportwissenschaftler, der mit einer herausragenden Karriere als Amateur- und Profiboxer Theorie und Praxis auf eindrucksvolle Weise verbunden hat. 
Wohlgemerkt eine der erfolgreichsten Karrieren seiner Zeit: Mehrfacher Weltmeister im Schwergewicht und ein Vorbild für sportliche Fairness, Disziplin und Ausdauer. In 47 Profikämpfen ging er kein einziges Mal zu Boden.
Wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben, welcher Politiker, welche Politikerin unter uns kann das schon von sich behaupten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese beeindruckende Standfestigkeit prägte auch seinen weiteren Weg – vom Boxring in die nicht minder harte Arena der Politik.
Bereits während seiner aktiven Zeit als Athlet unterstützte er die Orangene Revolution. Eine bewusste Entscheidung, sich aktiv einzumischen. und eben nicht von der Seitenlinie zuzuschauen und sich - wie viele andere es tun - rauszuhalten.
Er wollte den Wandel in seiner Heimat mitgestalten und gründete eine eigene Partei: die „Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen“. Der Name war und ist Programm. 
Großes Engagement und Herzblut ebneten bereits 2012 den Weg in das ukrainische Parlament.
Vitali Klitschko wurde nur wenige Zeit später zu einem der Gesichter der Euromaidan-Bewegung. Schulter an Schulter mit den Protestierenden hat er sich auf dem Platz der Unabhängigkeit für eine europäische Zukunft der Ukraine eingesetzt. 
Wer heute die Gedenkstätte auf dem Maidan besucht, der sieht ein Meer von gelbblauen Fähnchen für die Opfer des Krieges. Der kann erahnen was für ein Geist mit dieser friedlichen Revolution, mit ihrem furchtbaren Niederschlagen verbunden ist und was das für eine Hypothek für das ukrainische Volk bis heute ist.
Seine Bekanntheit in Deutschland und Europa und sein Auftreten sorgte dafür, die Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse in der Ukraine zu lenken. Der Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung sollte auch in anderen europäischen Hauptstädten gehört werden.
Er glaubte fest an einen Machtwechsel ohne Blutvergießen und setzte sich mit ganzer Kraft dafür ein. Doch es kam anders. 
Wir alle haben damals im Februar 2014 geschockt und fassungslos verfolgen müssen, wie sich dieser Traum in Luft auflöste. Wir kennen die Bilder von Vitali Klitschko, der sich vor die Protestierenden stellte, als die Lage eskalierte.
Er selbst sagte später, es fühlt sich aufgrund der vielen Opfer auf dem Euromaidan nicht nach einem Sieg an.  
Aber vieles ist in Bewegung geraten: Neuwahlen für das Präsidenten-Amt und das Parlament, eine Reform des Justizsystems und der Verfassung sowie ein Dezentralisierungsprozess.
All das sind wichtige Schritte für eine demokratische, freie und bessere Zukunft der Ukraine gewesen. Eine Ukraine, auf die viele Menschen auch heute hoffen.
Lieber Vitali,
Für viele warst und bist Du ein Träger dieser Hoffnung. 
Im Mai 2014 wurdest Du zum Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew gewählt, um sie zu einer echten europäischen Hauptstadt zu machen. Wer Kiew noch nicht gesehen hat, ich kann einen Besuch nur empfehlen. Vielleicht nicht gerade während des Krieges, aber auch das lohnt sich, wenn man es kann. Ich war einige Male da und werde wieder hinreisen, weil ich denke, dass es richtig und notwendig ist, Gesicht zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen und Solidarität zu zeigen, aber gleichzeitig ist Kiew für mich einer der schönsten europäischen Hauptstädte überhaupt.
In einer Zeit, in der Vertrauen erschüttert wurde, durch die Annexion der Krim, durch die wachsende russische Aggression und große wirtschaftliche Probleme hast Du als Bürgermeister das Ruder übernommen.
Deine Wiederwahlen 2015 und 2020 bezeugen eindrucksvoll: viele Menschen in Kiew vertrauen Dir. Und sie tun das bis heute!
Mehr Selbstverwaltung und Dezentralisierung, direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Entscheidungen, den Menschen eine Stimme geben – damit wurdest Du, lieber Vitali, zu einer wichtigen Kraft auch für die demokratische Entwicklung des ganzen Landes.
Die großangelegte, völkerrechtswidrige Voll-Invasion der russischen Streitkräfte im Februar 2022 änderte alles.
Die Bilder von diesen ersten Tagen der Invasion gingen um die Welt: 
Von russischen Panzern, die auf Kiew vorrückten, über die Verwüstung von Wohnhäusern durch Luftangriffe bis zu Menschen, die in U-Bahnhöfen ausharrten.
Es war ein Schock für ganz Europa.
Niemand von uns kann sich nur ansatzweise vorstellen, was die Ukrainerinnen und Ukrainer seither jeden Tag erleben mussten: Angst, Trauer, Verzweiflung, Erschöpfung, Wut. 
Und ja dieser Krieg muss ein Ende haben.
Und ja es gibt einen Mann auf dieser Welt, der das morgen herbeiführen kann. Dieser Mann heißt Wladmir Putin und er könnte mit einem einzigen Befehl das Blutvergießen in der Ukraine beenden, meine Damen und Herren. 
Aber er will es nicht.
Ich höre da draußen schon wieder die eine oder andere Stimme, also jetzt nicht buchstäblich, aber im übertragenen Sinn: „Ihr müsst doch mit ihm verhandeln, ihr müsst ihm doch etwas geben.“ 
Ein Diktatfrieden ist nicht die Lösung dieses Krieges, der übrigens immer öfter wie ich finde störenderweise als Konflikt bezeichnet wird. Das ist eine Verharmlosung der Situation, über die wir reden. 
Es ist kein Konflikt zwischen zwei Ländern, die sich über irgendetwas streiten oder unterschiedlicher Auffassung sind. Es ist eine Invasion, ein Angriff, ein Besetzungskrieg. Nicht anderes trifft es auf den Punkt.
Ich begrüße und beteilige mich gerne an jedem Ansatz für Verhandlungen über eine Waffenruhe, die als erstes kommen muss oder dann einen Waffenstillstand. Das ist das beste Mittel, diesen Krieg zu beenden, wenn es keine einseitige Beendigung geben kann.
Aber es kann nicht bedeuten, dass die Ukraine ihre Souveränität aufgibt. Ihre Entscheidung, ob sie Mitglied der Europäischen Union oder der NATO werden will. Ihre Entscheidung, wie sie sich ausrichten will und wer ihre Partner sein sollen. Es kann auch nicht sein, dass die Ukraine 20 oder 30 Prozent ihres Territoriums einfach mal so herschenken soll, nur damit dann vielleicht ein Frieden kommt, der dann – ja eigentlich wie lange halten soll nach den Erfahrungen der Vergangenheit und den Garantien, die die Ukraine damals bekommen hat.
Meine Damen und Herren, deswegen auf jeden Fall Frieden aber nicht Frieden um jeden Preis, sondern Frieden in Freiheit.

Lieber Vitali,
als Bürgermeister von Kiew bist Du verantwortlich für einen der wichtigsten Kultur-, Bildungs- und Industriestandorte Europas. 
Kiew ist zudem mit der Sophienkathedrale und dem Höhlenkloster eine Heimat von UNESCO Weltkulturerbe. 
Noch viel schwerer wiegt die Verantwortung für die knapp drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner dieser wunderbaren Stadt. Der Stadt, von der ich sagen kann: Ich habe sie und die Menschen, die in ihr leben, längst ins Herz geschlossen.
Eine Metropole, deren schnelle Einnahme und Zerstörung eines der Hauptziele von Putin war.
Doch Kiew hat standgehalten, weil seine Einwohner und Du als ihr Bürgermeister standhaft geblieben seid.
Während um Dich herum Zerstörung und Angst herrschten, hast Du über Menschlichkeit, über Zusammenhalt und über das Recht auf ein Leben in Freiheit gesprochen. Du gabst Hoffnung, motiviertest zum Zusammenhalt und zum Durchhalten - und tust das bis heute.
Du hast Wege gefunden, um die Energie- und Wasserversorgung in der Hauptstadt trotz andauernden Beschusses bestmöglich aufrecht zu erhalten. In Deiner Stadt warnt eine App, ich habe sie selbst im Einsatz gesehen, vor Luftangriffen und zeigt den Weg zum nächsten Luftschutzbunker auf. Bunkern in denen es kostenfreies W-Lan gibt, um mit Freunden und Angehörigen in Kontakt bleiben zu können.
Mit Deiner entschlossenen Art, Herausforderungen anzugehen, hast Du Lösungen für die neue brutale Realität des Krieges geschaffen. 
Tag für Tag versuchst Du, den Menschen in Kiew ein Stück Normalität zurückzugeben. Trotz des anhaltenden Krieges treibst Du den Wiederaufbau voran. Du willst öffentliche Plätze neugestalten und schützen, den Kulturreichtum bewahren, Perspektiven schaffen. 
Dabei hast Du nie den Glauben an einen Sieg gegen Russland verloren. Du bist bereit, für die Ukraine, für die Freiheit und Deine Mitmenschen zu kämpfen.
Daran lässt Du keinen Zweifel. Auch mir gegenüber nicht.

Ein Symbol dafür, meine Damen und Herren, sind die Boxhandschuhe, die Vitali mir bei meinem ersten Besuch in der Ukraine als Verteidigungsminister überreicht hat.
Ich habe gewiss nicht den Haken, aber es steht drauf: „Keep on punching Boris“.
Sie können mir glauben, dieses Geschenk hat einen Ehrenplatz in meinem Büro und wird immer als meistes von meinen Besucherinnen und Besuchern angesprochen. Gleichzeitig stellen diese Boxhandschuhe ein Symbol dar. Sie sind eine tägliche Erinnerung an die Entschlossenheit und den Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer, unser aller Sicherheit zu verteidigen. Für das einzutreten und zu kämpfen, was unser aller Leben ausmacht.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
im Herbst 2023 bei der ersten Westfälischen Friedenskonferenz in Münster, das ist die zweite Stadt, in der der Westfälische Frieden verhandelt worden ist, hatten wir endlich die Möglichkeit, ausführlicher miteinander zu sprechen. 
Wir waren uns einig: Deutschland, die Europäische Union und die Ukraine sind durch ein enges Band verbunden. Ein Band das für Verantwortung steht.
Du zählst auf Deutschland, lieber Vitali, und das zu Recht. Als wirtschaftlich stärkste Nation im Herzen von Europa kann und muss Deutschland mehr leisten für die Sicherheit und den Frieden auf dem europäischen Kontinent.
Unermüdlich wirbst Du für internationale Unterstützung für die Ukraine: in Deutschland, in Europa, in den USA, weltweit. Du pochst auf Solidarität im Kampf gegen den Aggressor Russland.
Du bist so zu einer der wichtigsten Stimmen Deines Landes geworden.
Mit klaren Worten erinnerst Du daran, dass die Ukraine nicht nur sich selbst, sondern uns alle verteidigt. Unseren Frieden, unsere Freiheit in Europa, unsere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Oder kurz: Unsere Art zu leben, die Wladmir Putin so fürchtet.

Sehr geehrte Damen und Herren,
der Namensgeber des Preises, den wir heute vergeben, weiß, was es bedeutet, wenn diese Werte nicht ausreichend verteidigt werden. 
Franz Werfel, der österreichisch-jüdische Schriftsteller, Dichter und Dramatiker, musste selbst darunter leiden. 
Zeitlebens setzte er sich für die Wahrung der Menschenwürde ein. In einer Zeit, in der das Schweigen oft als Zustimmung galt, war er eine hörbare Stimme der Schwachen und Unterdrückten.
Sein wohl bekanntestes Werk „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ handelt von armenischen Widerstandskämpfern, die der Übermacht der osmanischen Truppen die Stirn bieten. Es erzählt die Geschichte von mutigen Menschen, die an Gerechtigkeit glauben und an Frieden und bereit sind dafür Opfer zu bringen. 
Ich habe dieses Buch als sehr junger Mann erstmals gelesen und seitdem zwei oder drei Mal und bin bis heute gefangen von Werfels Sprache und seiner dichten Beschreibung von Zeit, Umgebung und Leid. 
Franz Werfel stellt klar: die Menschlichkeit ist nicht nur ein Wort, sondern ein Auftrag an uns alle hier und heute, morgen und übermorgen. Diese Botschaft hat bis heute nichts an Relevanz eingebüßt. Sie mahnt uns, niemals tatenlos zuzusehen.
Immer wieder weist Franz Werfel in seinen Werken auch auf die Verantwortung von Ihnen und mir, von jedem und jeder Einzelnen in diesem Land und auf der Welt hin.

Lieber Vitali, 
du hast dich entschieden, nicht tatenlos zuzusehen. 
Als die Menschen auf dem Maidan für Ihre Rechte protestierten, standest Du an ihrer Seite. Du hast gemeinsam mit ihnen gekämpft – für das Recht Ihres Volkes, selbst über seine Zukunft zu entscheiden. So wie es das Recht eines jeden Volkes ist.
Als es darum ging, Verantwortung zu übernehmen, hast Du nicht gezögert: Du stelltest Dich zur Wahl und übernahmst das Amt des Bürgermeisters von Kiew. 
Als die Hauptstadt zum Ziel russischer Angriffe wurde, hast Du in vorderster Reihe Widerstand und Schutz organisiert.
Dein tägliches Engagement hilft den Menschen in Kiew diesen schrecklichen, brutalen Krieg zu überstehen. Es schafft die Voraussetzungen dafür, dass Millionen von Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Es hilft dabei dem Ziel einer freien, souveränen und demokratischen Ukraine näher zu kommen.
Dein Mut, Deine Standhaftigkeit, Dein Durchhaltevermögen – all das verdient unseren Respekt, unsere Anerkennung und mehr als das: unsere Dankbarkeit und Unterstützung. 
Meine Damen und Herren,
es gibt in diesem Krieg keine guten Nachrichten, aber eine Erkenntnis: Wladimir Putin hat sich mit seinem brutalen Angriffskrieg verrechnet. Er hat den Widerstandswillen der tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer genauso unterschätzt wie die Geschlossenheit des Westens. 
Und jetzt spielt Putin auf Zeit. Er hat kein ernsthaftes Interesse an Frieden oder einem Waffenstillstand. Die erneuten, verheerenden Angriffe auf die Ukraine nur einen Tag nach dem Treffen in Istanbul, bezeugen dies.
Deshalb gilt weiterhin:
Deutschland wird auch unter der neuen Bundesregierung nicht nachlassen, die Ukraine verlässlich zu unterstützen.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs haben wir über 38 Milliarden Euro an militärischer Unterstützung geleistet. Damit ist Deutschland, nach den USA, der größte Unterstützer weltweit. Wir bilden ukrainische Soldatinnen und Soldaten aus, leisten humanitäre Hilfe und engagieren uns beim Wiederaufbau.
Wir dürfen und werden in diesem Kampf nicht nachlassen. 
In engem Austausch mit unseren ukrainischen, europäischen und transatlantischen Partnern arbeiten wir an weiteren Unterstützungsleitungen. 
Wir benennen Probleme und kämpfen mit offenem Visier um Lösungen. Nicht allein für die Ukraine, sondern auch für die Sicherheit, Freiheit und Zukunft Europas. Und die Stärke des Rechts. Gegen das Recht des Stärkeren!

Lieber Vitali,
auch du sprichst Klartext – und genau das braucht es in diesen Zeiten! 
Durch Deine klaren Worte und Dein Engagement hast Du vielen Menschen das Leid und die furchtbaren Geschehnisse in der Ukraine nähergebracht. 
Deine Stimme hat Solidarität erzeugt. 
In zahllosen Interviews, bei Besuchen in Deutschland, durch Deine Berichte aus erster Hand hast Du Brücken gebaut. 
Brücken zwischen der Ukraine und dem Rest Europas, der sich viel zu lange in Sicherheit wähnte.
Dein Mut inspiriert – weit über die Grenzen der Ukraine hinaus. Deine Worte und Taten machen einen Unterschied. 
Du kämpfst weiter zu einem Zeitpunkt, an dem andere längst aufgegeben hätten. 
Dein Glaube an eine friedliche und demokratische Ukraine ist unerschütterlich. 
Mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis erhältst Du dafür eine mehr als verdiente Würdigung.

Meine Damen und Herren,
die Verbindung zwischen Franz Werfel und Vitali Klitschko liegt nicht nur in ihrer beider Engagement für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde. 
Sie liegt auch in ihrer Fähigkeit, andere zu besseren Menschen zu machen und zum Handeln zu motivieren. Beide erinnern uns daran, dass es eben nicht ausreicht, Verstöße gegen Menschenrechte zu beklagen: Es braucht Haltung und es braucht Menschen die aktiv werden.
Als Europäerinnen und Europäer dürfen wir nicht wegschauen. Wir dürfen nicht einknicken, wenn Putin das Völkerrecht mit Füßen tritt. Wenn er versucht, die regelbasierte internationale Ordnung auszuhebeln und einem freien Land das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen.
Lassen Sie uns daher gemeinsam beweisen: Unsere Solidarität lässt nicht nach. Wir stehen fest und verlässlich an der Seite der Ukraine. Heute und in Zukunft!
Vielen Dank!

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