Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, Mike Josef

Mike Josef

Oberbürgermeister von Frankfurt am Main

Ansprache des Hessischen Ministerpräsidenten, Boris Rhein
zur Verleihung des
Franz-Werfel-Menschenrechtspreises 2025
am 1. Juni 2025 in der Paulskirche
Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort!

Was wäre für mich als Frankfurter Oberbürgermeister der schlimmste Albtraum? 
Wenn ich fast täglich unsere Bevölkerung warnen müsste vor neuen Raketen- und Drohnen-Angriffen und die Frankfurter jedes Mal dringend auffordern müsste, unverzüglich in U-Bahn-Stationen Schutz vor Luftattacken zu suchen.

Wenn ich immer wieder zerstörte Wohnungen und Häuser aufsuchen und den Überlebenden Trost und Ermutigung zusprechen müsste. Wenn ich regelmäßig dafür sorgen müsste, dass die bombenbeschädigte Wasser-, Strom- und Gasversorgung wiederhergestellt würde. Das wäre für als Stadtoberhaupt von Frankfurt der absolute Albtraum. Diesen Albtraum erlebt mein Kollege Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, fast jeden Tag.

Jederzeit kann eine russische Rakete in seiner Stadt einschlagen, kann eine mit Sprengstoff beladene Drohne auf einen Wohnblock, auf ein Kraftwerk oder einen Kindergarten niedersausen. Die ukrainische Hauptstadt ist rund um die Uhr bedroht, Bürgermeister Klitschko muss jede Minute mit dem Schlimmsten rechnen, muss immer wieder auf dramatische Situationen reagieren.

Meine Damen und Herren.
Kein Bürgermeister auf dieser Welt möchte so etwas erleben. Für Vitali Klitschko ist die permanente Bedrohung seiner Stadt, seiner Bürger aber seit mehr als drei Jahren Alltag. Ein Horror-Alltag. 
Dass Sie all dies ertragen, sehr verehrter Vitali Klitschko, dass Sie ihre Bürger immer wieder trösten und aufmuntern, dass Sie all diese Schläge wegstecken und unentwegt weitermachen, dass Sie nicht aufgeben, sondern für Ihre Stadt, für Ihre Menschen, für eine freie Ukraine kämpfen – das ist eine ganz außerordentliche, eine höchst bewundernswerte Leistung, für die Sie zu Recht heute den Franz-Werfel-Menschrechtspreis erhalten.

Sie, verehrter Vitali Klitschko, verkörpern in Ihrem Land den Kampf der Ukraine für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Diesen Kampf haben Sie nicht gesucht, er wurde Ihnen von der aggressiven Putin-Diktatur aufgezwungen.

Früher, vor den russischen Angriffen auf die Ukraine, haben Sie sich vermutlich nicht im Traum vorstellen können, dass Russen und Ukrainer, diese beiden Brudervölker einmal in einen mörderischen Bruderkrieg gegeneinander geraten könnten. Denn Sie als Person stehen von ihrer Herkunft her für beide Völker: Ihr Vater war Ukrainer, Ihre Mutter Russin. Nun sind Sie gezwungen, sich gegen die Aggression der russischen Imperialisten zu verteidigen.

Meine Damen und Herren,
Verteidigen lautet das entscheidende Wort. Man muss es immer wieder laut aussprechen, gerade auch gegenüber den Putin-Freunden in manchen deutschen Parteien und den angeblichen Friedensfreunden in unserem Lande, die einem faktischen Diktatfrieden zu Ungunsten der Ukraine das Wort reden: Nicht die Ukraine hat Russland angegriffen, sondern Russland hat die Ukraine überfallen – und möchte mit seinen Angriffen offenbar nicht aufhören, bis diese Ukraine zu Kreuze kriecht und ihre Souveränität aufgibt.  Und damit auch die Demokratie, die Freiheit, die Grundrechte der Bürger, das Bestreben, sich Europa anzuschließen.

Sie, verehrter Herr Klitschko, wollen natürlich auch den Frieden. Das wollen wir alle. Aber nicht einen Frieden um jeden Preis, nicht einen Frieden der Unterwerfung. Die Ukraine braucht einen gerechten Frieden. Wir hoffen denn auch aus tiefem Herzen, dass es bald zu einem Waffenstillstand und danach zu konstruktiven Friedensverhandlungen kommt.

Liebe Gäste.
Vitali Klitschko ist seit 2014 Bürgermeister von Kiew. Er hatte keine anderen Ziele als jedes andere verantwortungsbewusste Stadtoberhaupt auf dieser Welt sie anstrebt: 
Er wollte seine Stadt wirtschaftlich, sozial und kulturell voranbringen, wollte das Leben der Bürger von Kiew verbessern. Und er hatte durchaus Erfolg. Nach nur vier Amtsjahren konnte er mehr als 20 neue Kindergärten vorweisen, sieben neue Schulen, mehr als 800 Kilometer neue Straßen und manch anderen Fortschritt.

Doch seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine steht der Bürgermeister von Kiew vor Aufgaben, die andere Bürgermeister nicht kennen: Er muss in einem terroristischen Bombenkrieg das Überleben seiner Bürger sichern.

Das ist gewiss ein härterer Kampf als seine vielen Kämpfe im Boxring, die er in der Regel siegreich beendet hat. Er, einer der erfolgreichsten Boxer in der Geschichte dieser Sportart, hätte sich auf seinem Lorbeer und seinen Millionen von Einnahmen aus seinen Kämpfen irgendwo auf einer Insel ausruhen und seine Erfolge genießen können.

Vielmehr hat Vitali Klitschko - und, nicht zu vergessen, auch seine Bruder Wladimir – sich ganz früh der Demokratiebewegung in der Ukraine angeschlossen und dieser Bewegung ein Gesicht gegeben.
Lieber Vitali Klitschko.

Ich und die anderen Bürgermeister und Oberbürgermeister in Deutschland und auf der Welt können nur hoffen, dass wir eine derart extreme Bewährungsprobe, wie Sie sie durch den Ukraine-Krieg erlebt haben und noch erleben, annähernd so tapfer und mutig bestehen würden wie Sie.

Sie, Vitali Klitschko, verkörpern nicht nur das Beste in Ihrer Sportart, dem Boxen, sondern auch das Beste in der Großstadtpolitik. Sie sind ein vorbildlicher Bürgermeister, ein vorbildlicher Demokrat, ein vorbildlicher Europäer. Und für mich persönlich sind Sie ein Vorbild als Oberhaupt einer Metropole. 
Frankfurt steht an Ihrer Seite. Deutschland steht an der Seite der Ukraine. Und wir alle stehen an der Seite derer, die für eine freie und friedliche Zukunft kämpfen – mit Herz, mit Haltung, mit Hoffnung.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser hochverdienten Auszeichnung – und danke für Ihre Stärke, Ihren Einsatz und Ihr Vorbild.

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